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19. August 2025
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«Das individuelle Konto (IK) bildet eine der wichtigsten Grundlagen für die Rentenberechnung jeder versicherten Person»

Davide Picardi ist seit fünf Jahren Stv. Leiter der Abteilung Leistungen AHV/IV. Der 39-Jährige beschäftigt sich mit den vielen komplexen Themen unserer wichtigsten Sozialversicherung. Welche Fragen die Versicherten haben und vor welchen Herausforderungen wir alle stehen, zeigt Davide Picardi im Interview auf.

Davide Picardi, in welchen Lebenssituationen können Leistungen von der AHV und IV bezogen werden?
Die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) und Invalidenversicherung (IV) bilden den Anker unseres 3-Säulenprinzips. Wir reden dabei immer von Existenzsicherung. Die zweite Säule – also die Pensionskasse – und weiteres persönliches Sparen sind hier nicht gemeint. Das heisst also, dass wenn das Einkommen bei einem sogenannten Risikoeintritt (Alter, Tod oder Invalidität) wegfällt, die AHV/IV die Existenz einer Person sichern soll. Da die AHV/IV rechtlich als eine Sozialversicherung angeschaut wird, kann immer nur entweder eine Leistung aus der AHV oder aus der IV entrichtet werden.

Gibt es noch andere Lebenssituationen, in denen Leistungen bezogen werden können?
Ja, wenn eine versicherte Person für die eigene Lebensverrichtung nicht selber aufkommen kann und auf Hilfe von Dritten angewiesen ist, kann eine Hilflosenentschädigung beantragt werden.

Wer bezahlt AHV- und IV-Beiträge?
Es ist eine obligatorische Volksversicherung mit dem Solidaritätsgedanken: Einer für alle, alle für einen. Alle natürlichen Personen, die in der Schweiz wohnen, müssen Beiträge bezahlen – auch wenn sie nicht erwerbstätig sind. Die Ausnahme dabei bildet die Mitversicherung eines Ehegatten. Ist ein Ehepartner im AHV-rechtlichen Sinn erwerbstätig, so gelten die Beiträge des anderen nichterwerbstätigen Ehepartners als bezahlt, wenn der erwerbstätige Ehepartner den doppelten Mindestbeitrag aus seinen Einkommen entrichtet hat. Bei solchen Konstellationen empfehlen wir, mit der Ausgleichskasse Kontakt aufzunehmen, um eine allfällige Beitragspflicht dennoch abzuklären. Zudem bezahlen alle erwerbstätige Personen in der Schweiz Beiträge – auch Grenzgänger, welche im Erwerbsstaat Schweiz obligatorisch versichert sind.

Wie lange dauert die Beitragspflicht?
Die Beitragspflicht startet am 1. Januar des Kalenderjahrs nach dem vollendeten 17. Altersjahr, sofern die Person dann bereits arbeitet. Wenn die Person noch weiter zur Schule geht oder sich im Studium befindet, beginnt die Beitragspflicht spätestens am 1. Januar des Kalenderjahrs nach dem vollendeten 20. Lebensjahr. In jedem Fall endet die Beitragspflicht auf Ende des Monats, wo das Referenzalter (also das Pensionsalter) erreicht wird.

Wenn jemand nach Erreichen des Referenzalters noch weiterarbeiten möchte, ist dann der gesamte Lohn der AHV-Beitragspflicht unterstellt?
Für Rentnerinnen und Rentner, die nach dem Referenzalter weiterhin erwerbstätig sind, besteht ab dem Folgemonat nach Erreichen des Referenzalters ein sogenannter Freibetrag von 1'400.- pro Monat. Das heisst, dass bis zu diesem Einkommen keine AHV/IV/EO-Beitragspflicht mehr besteht. Mit Inkrafttreten der Reform AHV 21 per 1.1.2024 steht es der versicherten Person frei zu entscheiden, ob Sie vom Freibetrag Gebrauch machen oder gar verzichten will und somit auf den gesamten Bruttolohn ihre Beitragspflicht entrichtet. Dieser Aspekt muss dann beachtet werden, wenn mit dem Einkommen nach dem Referenzalter zusätzliche Beitragsjahre generiert werden können.

Müssen Bezügerinnen und Bezüger von AHV- und IV-Leistungen auch weiterhin Beiträge an die AHV/IV bezahlen?
Ja, denn Leistungen aus der AHV und IV sind nicht beitragspflichtig. IV-Rentnerinnen und -Rentner, die also das Referenzalter noch nicht erreicht haben, unterstehen nach wie vor der obligatorischen Beitragspflicht bis zum Referenzalter, sofern bei einem Ehepaar keine Mitversicherung gegeben ist. AHV-Rentnerinnen und Rentner, welche ihre Altersrente vorbeziehen, unterstehen nach wie vor der obligatorischen Beitragspflicht bis zum Referenzalter; auch hier, sofern beim Ehepaar keine Mitversicherung gegeben ist. Anders sieht es beim IV-Taggeld aus. Diese Leistung der IV entspricht einem Lohnersatz und ist beitragspflichtig, welches schlussendlich auf dem persönlichen individuellen Konto verbucht wird.

Welche Leistungen erbringt die AHV?
Es geht bei der AHV immer um die zwei Lebenssituationen Referenzalter und Todesfall. Mit Erreichen des Referenzalters erhält man die persönliche Altersrente und – solange Kinder bis zur Vollendung des 18. Altersjahrs beziehungsweise bis maximal zur Vollendung des 25. Altersjahrs, wenn sie sich in Ausbildung befinden – eine AHV-Kinderrente. Im Todesfall werden in bestimmten Fällen Witwen- oder Witwerrenten und Waisenrenten ausbezahlt. Per 2026 wird das Leistungspaket der Hinterlassenenversicherung revidiert. Mit Inkraftsetzung sieht die Gesetzgebung vor, dass nur noch in einer befristeten Zeitspanne die Hinterlassenen finanziell unterstützt werden.

Für alle versicherten Personen gibt es ein persönliches individuelles Konto. Was ist das genau und weshalb ist dies wichtig?
Das individuelle Konto (IK) bildet eine der wichtigsten Grundlagen für die Rentenberechnung jeder versicherten Person. Auf dem IK werden sämtliche AHV-pflichtigen Bruttoeinkommen aus unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit und aus Nichterwerbstätigkeit aufgeführt. Wie bereits erwähnt, gelten Taggelder infolge Lohnersatz ebenfalls zum AHV-pflichtigen Bruttoeinkommen. Bei der Zentralen Ausgleichsstelle ZAS laufen die Meldungen aller Ausgleichskassen zusammen. Damit ist jedes IK jederzeit aktuell und im eidgenössischen Personenregister hinterlegt. Was auch auf dem IK verbucht wird, sind freiwillige Versicherungszeiten. Wenn beispielsweise eine Person für längere Zeit im Ausland ist (ausserhalb EU/EFTA-Raum), kann sie sich freiwillig in der AHV versichern lassen. Das ist wichtig, damit die Versicherungsdeckung gewährleistet ist. Weiter werden auch Betreuungsgutschriften auf dem IK verbucht. Zum Schluss ist es mir wichtig zu erwähnen, dass wir für die Rentenberechnung die Einkommen ab dem 21. Altersjahr bis zum 31.12. des Jahres vor Eintritt des Versicherungsfalls verwenden. Wenn Personen bereits vor dem 21. Altersjahr einbezahlt haben, werden diese zur allfälligen Lückenschliessung verwendet. Man nennt diese Jahre auch Jugendjahre.

Ist es sinnvoll, wenn man sein persönliches individuelles Konto periodisch abruft?
Es empfiehlt sich beispielsweise bei einem Arbeitgeberwechsel und vor der Pension ein individuelles Konto bei der Ausgleichskasse zu bestellen. Dies um sicherzugehen, ob auch alles lückenlos durch die Arbeitgeber gemeldet wurde. Die Bestellung eines IK-Auszugs ist übrigens kostenlos.

Was muss ich unternehmen, damit ich bei meiner Pension den maximalen AHV-Beitrag erhalte?
Das Wichtigste ist sicher, sich bei der Ausgleichskasse anzumelden. Jede versicherte Person ist selber dafür verantwortlich, die ordentliche Rentenanmeldung bei der Ausgleichskasse einzureichen. So ist die Sicherstellung der Rentenprüfung und Auszahlung gewährleistet. Die Berechnung wird wie bereits erwähnt auf Grundlage des IK-Auszugs erstellt. Daraus wird der Durchschnitt aus den bis zum Referenzalter effektiv erzielten Versicherungszeiten ermittelt. Dazu kommen der ermittelte Durchschnitt aus sogenannten Erziehungsgutschriften für Zeitabschnitte, in denen eine versicherte Person Kinder hatte und versichert war und der ermittelte Durchschnitt aus Betreuungsgutschriften, welche auf dem IK verbucht sind. Die Summe aller drei Durchschnittsberechnungen ergeben final das massgebende durchschnittliche Jahreseinkommen, aus denen der monatliche Rentenbetrag abgeleitet werden kann. Das bedeutet, dass es nicht möglich ist, wie in der zweiten Säule mit einem Einkauf seine AHV aufzubessern. Damit eine maximale Rente ausbezahlt werden kann, muss die Versicherungszeit vollständig sein. Das heisst, es müssen 44 Beitragsjahre nachgewiesen werden können. Bei Frauen ab dem Jahrgang 1964 gilt ebenfalls die vollständige Beitragsdauer von 44 Jahren aufgrund der Vereinheitlichung des Referenzalters auf 65 Jahre. Der andere Faktor ist die Höhe des durchschnittlichen Jahreseinkommens. Über diese 44 Jahre hinweg muss das Bruttoeinkommen im Schnitt rund 91'000 Franken betragen.

Wie gestaltet sich die Flexibilisierung unter der neuen Gesetzgebung nach der Reform AHV 21 per 1.1.2024?
Die Flexibilisierung hat vieles verkompliziert, vor allem auch für die versicherten Personen. Früher (also bis Ende 2023) war die Gesetzgebung sehr starr. Mit der neuen Flexibilisierung will der Gesetzgeber einen individuelleren Übergang vom Erwerbsleben in die Pension ermöglichen. Neu kann man zum Beispiel das Pensum reduzieren und bereits einen prozentualen Anteil der Rente beziehen (Vorbezug). Oder auf der anderen Seite können Personen, die über das ordentliche Referenzalter hinaus arbeiten möchten, in dieser Zeit beispielsweise erst einen Teil der Rente beziehen (Aufschub). Kurz gesagt ist neu ab dem 63. bis maximal zum 70. Altersjahr ein gestaffelter Bezug der Rente möglich.

Lohnt es sich überhaupt, über das Referenzalter hinaus zu arbeiten?
Es macht finanziell vor allem dann Sinn, wenn Beitragsjahre fehlen. Denn pro fehlendes Versicherungsjahr wird die AHV-Rente um 2.27 % reduziert. Sobald klar ist, wann das Arbeitsverhältnis definitiv endet, kann die versicherte Person eine einmalige Neuberechnung der AHV-Rente bei der Ausgleichskasse beantragen und damit unter gewissen Voraussetzungen Beitragslücken schliessen.

Was ist bei Ehepaaren mit der maximalen Plafonierungsgrenze gemeint?
Mit der Plafonierungsgrenze ist die maximale Ehepaarrente gemeint. Zurzeit beträgt diese 3'780 Franken, welche für ein Ehepaar ausbezahlt werden kann. Beide individuell berechneten Einzelrenten werden im Verhältnis ihrer Anteile bis zur Plafonierungsgrenze vergütet. Bestehen Beitragslücken, kann dies Einfluss auf die Plafonierungsgrenze haben.

Wer ist in der IV versichert und welche Leistungen erbringt sie?
In der IV ist man frühestens ab dem 18. Lebensjahr versichert. Die IV unterscheidet zwischen kurzzeitigen befristeten Geldleistungen (Taggeld oder Frühintervention direkt am Arbeitsplatz) und einer Rente. Wenn eine Rente gesprochen wird, kann die versicherte Person bis zu einem gewissen Grad ihre Erwerbstätigkeit im ersten Arbeitsmarkt nicht mehr ausüben. Wenn Taggelder ausbezahlt werden, ist es das Ziel, mit einer beruflichen Eingliederungsmassnahme die Arbeitsfähigkeit kontinuierlich zu verbessern, damit die versicherte Person im ersten Arbeitsmarkt wieder Fuss fassen kann. Solange das Potential zur Eingliederungsfähigkeit noch nicht ausgeschöpft ist, kommt es zu keiner Rentensprechung.

Wann erhalten versicherte Personen eine Invalidenrente?
Anspruch auf eine Rente hat, wer bei Eintritt der Invalidität seit mindestens drei Jahren versichert ist. Versicherte Personen, die aufgrund ihres Alters die Mindestdauer nicht ausweisen können, gelten als Frühinvalide. Für diesen Personenkreis gelten Ausnahmeregelungen. Wichtig zu wissen für die Versicherten ist, dass wir als Ausgleichskasse lediglich das Berechnungs- und Auszahlungsorgan im Auftrag der IV sind. Die IV-Stelle entscheidet über die Erwerbsunfähigkeit und somit über den IV-Grad anhand der medizinischen Akten und erteilt uns den Auftrag für den Vollzug und die Auszahlung.

Was beinhaltet eine Hilflosenentschädigung?
Die Hilflosigkeit einer Person wird auch durch die IV-Stelle beurteilt. In der Schweiz kennen wir unterschiedliche Lebensverrichtungen wie z. B. Ankleiden, Absitzen, Aufstehen, Essen oder Körperpflege. Eigentlich sind wir in diesen Bereichen selbstständig. Wenn wir aber im Alltag auf Unterstützung angewiesen sind, wird die Hilflosigkeit beurteilt. Diese geht von leicht, mittel bis schwer. Auch hier sind wir als Ausgleichskasse das Auszahlungsorgan. Die Beurteilung erfolgt durch die IV. In der AHV gilt seit Einführung der Reform AHV 21 eine Wartefrist von sechs Monaten, in welcher eine Hilflosigkeit durchgehend gegeben sein muss. In der IV besteht eine Wartefrist von einem Jahr.

Zum Schluss ist es mir im Zusammenhang mit den komplexen Revisionen in den AHV/IV-Leistungsbereichen wichtig zu sagen, dass es auch für uns herausfordernd ist, dies unseren Kundinnen und Kunden verständlich zu vermitteln und sie bis zur Pensionierung gut zu begleiten. Wir sind sehr bestrebt, einen ausgezeichneten Kundenservice zu gewährleisten.

Interview: Conny König

Persönliches über Davide Picardi

Angefangen hat alles im 2. Lehrjahr, welches Davide Picardi bei der AK71 absolvieren durfte. Nach erfolgreichem Lehrabschluss erhielt er eine Festanstellung. Das war im August 2010. Seitdem arbeitet er in der Abteilung Leistungen AHV/IV, wo er vor fünf Jahren die stellvertretende Leitung übernommen hat. Berufsbegleitend hat sich der 39-Jährige zum Sozialversicherungsfachmann weitergebildet, wo er heute auch als Referent tätig ist. Davide Picardi wohnt mit seiner Partnerin im Eigenheim in Witterswil. In seiner Freizeit ist er leidenschaftlicher Tambour an der Basler Fasnacht und ist gerne im eigenen Garten.